Der Bank-Blog: Immer wieder begegnet mir in Coachings der Wunsch von Frauen, im Beruf sowohl authentisch als auch professionell und stark zu sein. Eigentlich völlig normal, schließlich
gehört zum Frausein auch Macht. Deshalb finden wir unter weiblichen Archetypen die Königin, die Kriegerin, die Heilerin und die Priesterin. Doch wie sieht es in der heutigen Wirtschaft,
insbesondere in der Bankenwelt aus? Durch Gender- und #metoo-Debatte stellt sich immer mehr Frauen die Frage: Müssen auch solche Frauen, die naturgemäß eher Vollweib sind, zu geschlechtsneutralen
Professionals werden bzw. männliche Kommunikations- und Verhaltensweisen übernehmen, um im Berufsleben zu bestehen?
FEMININ, TOUGH UND KOMPETENT
Die Hamburger Personalberaterin Nicole Wesenberg, Wesenberg Resources, arbeitet vorwiegend für Privatbanken, Family Offices und Vermögensverwalter. Egal, ob sie Kunden oder Kandidaten trifft –
sie präsentiert sich so, wie es ihr entspricht: auf eine zeitgemäße Weise ultrafeminin, charmant und liebenswürdig. Entsprechend gentlemanlike, so erzählt sie, behandeln sie ihre
Gesprächspartner. Und selbstverständlich erfährt sie dank ihrer zugewandten Art viel Wichtiges, was sonst vielleicht ungesagt bliebe. „Manche sind denn aber doch überrascht“, schmunzelt
Wesenberg, „wenn sie bei Verhandlungen mit mir feststellen, wie tough ich sein kann.“ Diese Kombination von femininer Optik, Wärme und eisernem Willen beobachtet sie auch bei Bankerinnen mit
osteuropäischen Wurzeln. Im Kontrast dazu scheinen für Nicole Wesenberg deutschstämmige Bankerinnen tendenziell männlicher zu werden, je weiter oben diese auf der Karriereleiter stehen. „Manche
kann ich kaum als Frau erkennen“, wundert sie sich.
Von kulturellen Unterschieden berichtet auch die Österreicherin Simone Lassner-Klein. Sie leitet beim Bankhaus Spängler (Salzburg) das Team zur Betreuung von professionellen Kunden inkl. Family Offices und externen Vermögensverwaltern. Zuvor arbeitete sie für das deutsche Investmenthaus FERI Trust und traf dementsprechend viele deutsche Kolleginnen. „In Deutschland betrachten viele Frauen die Kleidung als eine Uniform“, erzählt die gebürtige Linzerin, die auf Konferenzen auch mal ein pinkfarbenes Kleid trägt. „Als Farbtupfer unter den dutzenden schwarzgrauen Anzügen. Das Kleid darf allerdings nicht zu kurz und der Lippenstift nicht zu kräftig sein, sonst wird die fachliche Kompetenz infrage gestellt“, beschreibt sie ihren Spagat zwischen authentischer Weiblichkeit und Professionalität. Weiblich und auffallend ja, aber bitte eher ladylike. Gut möglich, dass manche Frau „Uniform“ oder ein eher maskulines Outfit nur trägt, um derartige Kompetenzzweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen. Simone Lassner-Klein ist Authentizität wichtiger. Als sie für ihre deutsche Firma in Frankfurt arbeitete, blieb sie dort ganz alpenländische Dame mit österreichischem Akzent, Grußformel aus der Heimat, schwingenden Kleidern und langen, offenen Haaren. Und irgendwann begriffen dann ihre Kollegen: Die Frau ist anders, aber richtig gut und weiß wovon sie spricht.
Vergleichbares erlebte auch ihr Landsmann Franz Reif, Vorstand der Anadi Bank, Wien und Klagenfurt, während seiner Tätigkeit in Zentral- und Osteuropa. Dort war der Anteil an Frauen in
Führungspositionen im Riskmanagement oder Trading enorm hoch. Und diese extrem erfolgreichen, professionellen, durchsetzungsfähigen Frauen kleideten und verhielten sich dabei klassisch weiblich.
„Mit diesen Frauen zusammen zu arbeiten, war ausgesprochen angenehm und produktiv“, erinnert sich Reif.
AUTHENTIZITÄT – SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG
Eine norddeutsche Bankerin, die anonym bleiben möchte, unübersehbar gerne Frau und voll Wertschätzung für Männer, beobachtet immer wieder, wie viel freundlicher und höflicher Männer auch
untereinander werden, sobald eine Frau im Raum ist. Sie rät Frauen in Bezug auf das Ausleben der Weiblichkeit: „Seid authentisch, verstellt euch nicht.“ Hierfür hat sie eine kluge Begründung:
„Sich zu verstellen oder zu verbiegen, verhindert den Aufbau von Beziehungen, weil etwas zwischen den Menschen steht.“
Ganz ähnlich denkt auch Marcus Vitt, Vorstandssprecher der Privatbank Donner & Reuschel. Sein Credo lautet: „Wer immer nur eine Rolle spielt, wird langfristig nicht erfolgreich sein.“ Damit
führt er all die Trainer und Coaches, die Frauen im Interesse des beruflichen Erfolgs raten, wie Männer zu kommunizieren und zu agieren, ad absurdum. Vitt schätzt Mitarbeiterinnen, die sich mit
ihrer Einzigartigkeit einbringen, als große Bereicherung. Und wie fast jeder Mann geht er lieber mit Frauen um, die Weiblichkeit ausstrahlen, als mit solchen, bei denen man eine Diskrepanz
zwischen Geschlecht, Optik und Auftreten spürt.
Susanne Lahmann, Asset- und Portfoliomanagement der Nord/LB, Bremen, war ein Jahr Frauenbeauftragte der Bremer Landesbank und hat sich in dieser Zeit insbesondere um die Frauen gekümmert, die
ihre weibliche Macht noch nicht entdeckt und ihr Durchsetzungsvermögen noch nicht entwickelt hatten. „Selbst Frau bleiben und wissen, worauf Männer anspringen“ ist ihre Devise. Deshalb erklärte
sie beispielsweise ihre jungen Kolleginnen, wie Männer sich in einem Konferenzraum platzieren und warum Frauen selbst direkt ihren Raum beanspruchen sollten, statt zu warten, bis alle Männer
ihren Platz gewählt haben.
BIOLOGISCHES GESCHLECHT VS. GESCHLECHTLICHE ESSENZ
Nach so viel Ermutigung zu authentischer, souveräner Weiblichkeit lassen Sie uns zwei Faktoren betrachten, die geschlechtliches Selbstbild und innere Stärke beeinflussen:
Faktor 1 - Die geschlechtliche Essenz: Dieses Konzept stammt von dem amerikanischen Autor David Deida. Mit einem einfachen Test, bestehend aus 10 Fragen, ermittelt Deida die dem Menschen angeborene geschlechtliche Essenz, wobei er zwischen maskulin, feminin und neutral differenziert. Interessant dabei ist, dass die geschlechtliche Essenz nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmen muss und alle möglichen Mischformen möglich sind. Nun weiß man, dass die Menge von Testosteron im Mutterleib in verschiedenen Phasen der Schwangerschaft nicht nur das Geschlecht des Kindes bestimmt, sondern auch seine Gehirnentwicklung, wodurch es beispielsweise Mädchen mit „weiblicheren“ und solche mit „männlicheren Gehirnen“ gibt. Deidas Überlegungen dürften also biologisch begründet sein.
Generell gilt: Menschen fühlen sich wohler, sind kraftvoller und wirken überzeugender, wenn sie in Einklang mit ihrer geschlechtlichen Essenz leben und arbeiten.
Faktor 2 – Prägungen: Jeder Mensch ist in Bezug auf sein Selbst- bzw. Geschlechterbild und die Vorstellungen davon, wie er sein darf oder sein sollte, von Elternhaus, Länderkultur, Zeitgeist, Branche etc. geprägt. Dies bedeutet für alle, die anstreben im Beruf authentisch zu sein, verinnerlichte Botschaften kritisch zu hinterfragen, die sie einschränken und fremdbestimmen.
Fazit: Auch in der Finanzbranche ist mehr Raum für authentische Weiblichkeit als sich viele Frauen vorstellen können. Seien Sie mutig, seien Sie Sie selbst!